Geriatrie: »Gute Kommunikation dauert genauso lange wie schlechte«
Unsere Gesellschaft altert. Umso wahrscheinlicher ist es, dass du während des praktischen Jahres, deiner Assistenzzeit oder auch in deiner eigenen Praxis häufig mit altersheilkundlichen Krankheitsbildern zu tun haben wirst. Diese können mit einer eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit einhergehen, zum Beispiel Schwerhörigkeit und Sehschwäche, aber auch Demenz und Delir. Jan Michels, Chefarzt der Klinik für Altersmedizin des Johanniter-Krankenhauses Duisburg, erklärt, wie du das herausfordernde Patientengespräch erfolgreich meistern kannst.
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Herr Michels, wo sehen Sie Unterschiede im Gespräch mit geriatrischen Patienten im Gegensatz zu anderen Fachbereichen?
Geriatrische Patienten sind oftmals sehr geduldig. Sie haben im Laufe ihres langen Lebens viele Erfahrungen gesammelt, die jüngere Menschen noch nicht gemacht haben. Manche haben zwei Weltkriege, Hungersnot und Gewalt erlebt. Manchmal kommen diese Erinnerungen wieder hoch, manchmal bleiben sie im Verborgenen. Es gehört auch dazu, dass Enttäuschungen und herbe Rückschläge erlitten wurden. Im Gespräch mit dem Arzt, der sich dem Problem des Patienten widmet, sind geriatrische Patienten oftmals dankbare und geduldige Gesprächspartner. Sie vergeben dann auch kleinere Fehler in der Kommunikation.
Gibt es denn spezielle Erkrankungen im geriatrischen Bereich, die die Arzt-Patienten-Kommunikation erschweren?
Ja, das sind zum einen die verschiedenen Demenzformen aber auch das akute Delir, die Schwerhörigkeit oder eine eingeschränkte Sehfähigkeit. Gerade im Umgang mit schwerhörigen Patienten benötigen wir oftmals elektronische Hilfsmittel, um Kommunikation überhaupt zu etablieren. Hier muss man manchmal auch kreativ sein.
Zum Beispiel?
Das Stethoskop eignet sich beispielsweise zuweilen als provisorische Hörhilfe für den Patienten.
Kennen Sie noch weitere Hürden?
Schwierige Kommunikation kommt auch häufig bei Patienten vor, die an den Folgen von Schlaganfällen oder Verletzungen des Gehirns leiden. Es kann dann zu dem Trugschluss kommen, dass die Patienten kognitiv eingeschränkt sind, obwohl nur die Sprache oder das Sprachverständnis betroffen ist – eine sogenannte Aphasie. Das ist aber eine Sprachstörung und keine Denkstörung. Es ist wichtig, die Unterschiede zu erkennen und zu beachten.
Und gibt es Fälle, in denen der Patient zwar körperlich kommunizieren kann, geistig aber nicht dazu in der Lage ist?
Wenn jemand zum Beispiel an einer Demenz erkrankt ist, reduziert sich die Kommunikation je nach Schweregrad oftmals auf die emotionale Ebene. An Demenz erkrankte Patienten haben häufig sehr feine Antennen. Sie erkennen, wer es ehrlich mit ihnen meint und wer vorwiegend Interesse daran hat, möglichst schnell aus der Kommunikation herauszukommen.
Unterscheiden sich denn verschiedene Formen von Demenz?
Ja, besonders schwierig kann es sein, wenn eine frontotemporale Demenz vorliegt. Hier stehen vor allem Verhaltensauffälligkeiten, Wesensänderung und zwischenmenschliche Probleme im Vordergrund. Die Patienten können distanzgemindert oder auch aggressiv sein: So betritt man guter Dinge zum ersten Mal das Patientenzimmer zur Visite und wird dann unvermittelt verbal angegangen. In solchen Situationen ist es wichtig zu erkennen, dass der Patient einem eigentlich nichts Böses will, sondern dass es sich um ein einen Ausdruck der Erkrankung handelt. Man kann das oftmals auch in diagnostische Überlegungen einbeziehen. Wichtig ist, dass man für solche Situationen sensibilisiert ist.
Was sagen Sie, ist dann bei diesen Erkrankungen der Schlüssel für eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation?
Oftmals ist für die gelungene Kommunikation der Blick- und Körperkontakt wesentlich wertvoller als Argumente auf der Sachebene. Das kann zum Beispiel das Auflegen der Hand auf die Schulter in einer ruhigen Situation sein. Zeit ist daher ein wesentlicher Faktor im Umgang mit Demenzpatienten. Dabei sollte man auch nicht in Anwesenheit des Patienten mit anderen über diesen sprechen. Ich plädiere dafür, den direkten Kontakt auf Augenhöhe zu suchen. Dies beinhaltet auch, dass man nicht vor dem Bett stehen sollte, den Blick in die Patientenkurve vertieft. Vielleicht kann er noch nicht einmal sehen, wer da vor ihm steht.
Es ist wichtig zu verstehen: Demenzkranke Patienten haben oftmals Ängste, die sie nicht mehr einordnen und erst recht nicht benennen können. Es ist wichtig, diese Ängste nicht zu negieren, sondern aktiv zuzuhören und genauere Details zu erfragen, Inhalte zu wiederholen und den Patienten, sofern er in der Lage ist, sprechen zu lassen.
Gibt es da auch konkrete Techniken, die man anwenden kann?
Es gibt gerade im Umgang mit demenzerkrankten Patienten die Gesprächstechnik der Validation nach Feil und Richards. Das Ziel ist die Wiederherstellung von Selbstwertgefühl des Patienten sowie die Reduktion von Stress. Sie lehrt uns, dass wir einem Irrglauben eines demenzkranken Patienten nicht widersprechen sollten. Wenn uns ein 90-jähriger sagt, dass der eigene Vater ihn gleich abholen kommen wird, dann sollten wir dem nicht widersprechen.
Was würde passieren, würde man den Patienten auf den Irrglauben ansprechen?
Verhalten wir uns anders und argumentieren dagegen, wird der Erkrankte durch unser Zutun mitunter an seine Defizite erinnert. Das führt zu Frustration und Enttäuschung, was sich entsprechend vermeiden lässt.
Gibt es weitere Gesprächsinhalte oder -techniken, die man eher vermeiden sollte?
Wichtig ist, einen Demenzkranken nicht wie ein Kind zu behandeln. Selbst wenn uns manche Verhaltensweisen aus der Betreuung unserer Kinder bekannt vorkommen, wird es unsere Patienten verletzen, wenn wir sie belächeln oder belehren. Wir sollten auch keine Ironie, oder Babysprache verwenden. Ebenso sind Verbote zu vermeiden.
Wie ist es mit dem Tod? Spielt er eine wichtige Rolle in Ihren Patientengesprächen?
Der Gedanke an den eigenen Tod ist für geriatrische Patienten oftmals kein Gegenstand der Angst. Sie fürchten sich eher vor dem Prozess des Sterbens. Eine adäquate Aufklärung über das, was Patienten vor dem Tod erwartet, kann diese Ängste lindern. Insbesondere wenn man glaubhaft machen kann, dass man ihnen die ärztliche und pflegerische Hilfe auch in dieser Phase uneingeschränkt zukommen lassen wird. Wenn man palliative Versorgung bespricht, lassen sich viele Ängste nehmen. Viele ältere Menschen sind dankbar für das, was sie im Leben erfahren durften, und sind mit sich im Reinen. Manche Patienten haben dann bereits mit ihrem Leben abgeschlossen. Wenn sich aber durch die Behandlung eine akute Situation wesentlich verbessert, führt dies häufig zu neuem Lebenswillen und einer neuen Lebensqualität.
Auch durch die Einflüsse eines guten Patientengesprächs?
Eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation kann den Therapieerfolg wesentlich beeinflussen. Wenn man einem aufgebrachten, ängstlichen, vielleicht wahnhaften oder verzweifelten Patienten mit Ruhe und Geduld begegnet, kann ein einzelnes Gespräch den Behandlungsverlauf oftmals wesentlich besser beeinflussen als eine medikamentöse Therapie. Eine gute Kommunikation dauert genauso lange wie eine schlechte.