»Ballett und Heavy Metal haben die gleiche Energie«
Während andere die Vorstellung genießen, hat er Bereitschaft: In seiner Freizeit ist Dr. Götz Schomburg Theaterarzt in Hamburg und stets zur Stelle, wenn jemandem im Saal etwas passiert. Im Interview erzählt der Allgemeinmediziner von Erlebnissen hinter den Kulissen und seiner Leidenschaft für Ballett und Heavy Metal.
Herr Dr. Schomburg, wie sind Sie Theaterarzt geworden?
Dr. Götz Schomburg: Ich habe mich 2001 dafür beim Deutschen Bühnenverein in Hamburg beworben. Man muss seine Approbationsurkunde einreichen und ist dann Teil eines Pools mit anderen Ärzten. So erhält man die Chance, sich regelmäßig für Einsätze in allen großen Hamburger Theatern und in der Staatsoper zu melden. Früher waren auch die Musicaltheater dabei.
Wie läuft denn eine typische Arbeitsschicht als Arzt im Theater ab?
Theaterärzte haben immer einen Stammplatz im Theater. In der Hamburgischen
Staatsoper dürfen wir zum Beispiel in der achten Reihe sitzen. Man meldet sich bei
der Belegschaft, nimmt Platz und schaut wie jeder andere Gast das Stück. Aller
dings beobachte ich ständig, ob sich das Personal nähert und mir meine Arzttasche
bringt, weil einem Zuschauer im Saal etwas passiert ist.
Was ist denn drin in der Tasche?
Es ist dieselbe Tasche, die ich auch mit zum kassenärztlichen Notdienst nehme.
Sie ist zum Beispiel bestückt mit einem Blutdruckmessgerät, Medikamenten und
einem Sauerstoffmessgerät, aber es ist kein Reanimationskoffer. Denn halbauto
matische Wiederbelebungsgeräte hängen bereits in den Theatern. Aber wenn etwas Schwerwiegendes vorfällt, jemand zum Beispiel einen Herzinfarkt erleidet, wird umgehend der Rettungsdienst gerufen.
Und in welchen Situationen kommen Sie bei Ihrem Nebenjob zum Einsatz?
Bislang habe ich fast 100 Vorstellungen als Arzt besucht und schätze, dass es bei jedem fünften Theaterbesuch zu einem Einsatz kam. Die meisten Einsätze haben mit Kreislaufbeschwerden, akuter Übelkeit oder mit verletzten Gelenken zu tun, weil Gäste zum Beispiel auf der Treppe gestolpert sind.
Musiker, Tänzer oder Schauspieler müssen Sie nur selten behandeln?
Das kommt drauf an. Bei den Musicaltheatern kam es zum Beispiel oft vor, dass ich
Darsteller behandelt habe. Beispielsweise konnte ich den »König der Löwen« die
ersten vier Male nicht komplett sehen, weil ich immer beschäftigt war. Einmal habe
ich die halbe Vorstellung hinter der Bühne verbracht, direkt neben dem Dirigenten.
Bei einer Darstellerin hatte sich ein Bläschen im Mund gebildet. Ich habe sie mit Betäubungssalbe versorgt, damit sie das Stück zu Ende singen konnte.
Mit freiem Eintritt ins Theater und einer schönen Vorstellung ist der Job also nicht getan.
Nein. Viele denken zwar, dass man Theaterarzt wird, um Karten abzustauben und sich einen schönen Abend zu machen. Aber ganz so einfach ist es nicht. Wenn nichts passiert, ist das sehr schön und man kann die Vorstellung genießen. Doch man trägt auch eine große Verantwortung.
Sind Ihnen bestimmte Vorstellungen besonders in Erinnerung geblieben?
Da gibt es einige. Besonders beeindruckend sind die Vorstellungen von John Neumeier im Hamburger Ballett. Das Hamburger Publikum gilt ja eher als hanseatisch-zurückhaltend. Aber nach den Choreografien von Neumeier kommt es immer wieder vor, dass sie aufstehen und begeistert applaudieren – so eine Atmosphäre vergisst man nicht so schnell. Es ist allerdings nicht so, dass ich nur
Ballett schaue oder nur klassische Musik höre. Ich mag auch Heavy Metal.
Eine bestimmte Band?
Das ist unterschiedlich. Ich war zum Beispiel beim »Wacken Open Air« und letztens erst bei einem »System of a Down«-Konzert. Im Innenraum habe ich dann eine Stunde lang Pogo getanzt, bis nichts mehr ging.
Wie passen denn Ballett und Heavy Metal zusammen?
Ballett und Heavy Metal haben die gleiche Energie. Bei beiden geht es um viel Kraft
und Eleganz. Über Heavy Metal denken viele, das sei nur laute Musik. Aber schnelle, harte Elemente wechseln sich oft mit leiseren Tönen ab. Es ist der Kontrast, der diese Musikrichtung so spannend macht. Es gibt ja auch viele Balladen aus dieser Richtung.
Sie haben erwähnt, dass Sie auch Klassik mögen. Dann dürfte Sie die Elbphilharmonie interessieren.
Dort war ich als Theaterarzt sogar schon zweimal, aber leider wurde der Dienst dort abgeschafft. In der Elbphilharmonie sind jetzt Sanitäter vor Ort. Das Bauwerk, der Klang – einfach grandios. Und in Hamburg redet übrigens auch keiner mehr über die Kosten.
Fallen Ihnen im Theater mittlerweile andere Dinge auf als vorher?
Ich weiß ja jetzt, wie die Requisiten hinter der Bühne aussehen. Manchmal sind sie
gar nicht so perfekt gebaut. Aber wenn sie dann ins Licht gerückt und von der
Beleuchtung in Szene gesetzt werden, ist das ein fantastischer Anblick. Die Wirkung ist eine ganz andere. Besonders beeindruckt hat mich das Bühnenbild von »Moby Dick« im Thalia Theater – das Schiff, der Wal und das Spiel mit dem Wasser
waren schon sehr gelungen.