Famulatur: Und? Wie war's?
Spätestens im klinischen Teil des Studiums schnuppern Medizinstudierende das erste Mal Praxisluft: Dann steht ein Monat Famulatur bei einem Haus- oder Kinderarzt bzw. bei einer -ärztin auf dem Programm. Wir haben drei Mediziner gefragt: Wie war deine Famulatur? Was hast du mitgenommen? Und welche Tipps hast du für andere? Hier die Antworten von Oscar Flissakowski, Julia Winter und David Janke.
Oscar Flissakowski: »Ruhig bleiben, aber nicht abstumpfen«
»Ich habe im Sommer eine Famulatur bei einer Hausärztin in der Mainzer Neustadt gemacht. Das Publikum war dort recht heterogen, viele Studenten und Junge, viele Patienten mit Migrationshintergrund. Das war spannend – und anders als während meines Blockpraktikums in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis im Hunsrück. Dort kamen deutlich mehr Ältere, nahezu jeder zweite hatte Diabetes. Die Patienten generell waren mir gegenüber sehr offen und aufgeschlossen, gerade die älteren Damen haben sich oftmals über ein neues Gesicht gefreut. Für mich war das Positivste: dass man schon während der Famulatur die Menschen mehrfach wiedersieht. Viele haben uns Gebäck oder selbstgemachte Marmeladen mitgebracht.
Spritzen, impfen, Infusionen ... was der Hausarzt so macht
Erleben und machen durfte ich in meiner Famulatur vieles. Bereits am ersten Tag sah ich mich mit Pharmavertretern konfrontiert; es ging um Studienteilnahmen. Ansonsten habe ich morgens vor der Sprechstunde immer Blut abgenommen – das dauerte meist eine gute halbe bis dreiviertel Stunde. Bei den Patientengesprächen saß ich daneben, habe bei Neuaufnahmen zum Teil vorab die Anamnese erhoben, die körperliche Untersuchung, durfte spritzen und impfen, Infusionen anhängen ... alles, was der Hausarzt eben so macht. Im Kleinen bekam ich auch einen ersten Eindruck davon, was es bedeutet, eine Praxis zu organisieren und wirtschaftlich zu führen. Anders als im Krankenhaus, wo sich verwaltungsbestimmte Konflikte und hierarchisches Denken oft durch den ganzen Alltag ziehen, gab es im Team ein echtes Miteinander.
Wie führt man eigentlich ein Patientengespräch?
Die meisten Patienten in der Praxis hatten Sommergrippe, Magen-Darm-Erkrankungen, muskuläre Verspannungen. Was mich aber immer wieder wunderte: Wie oft die Psychosomatik mit in die Beschwerden hineinspielte oder psychische Leiden ganz isoliert auftraten. Ich erinnere mich noch besonders gut an eine junge Frau mit Bauchschmerzen, die an diesem Tag ihre bis dato fünfte Hausarztpraxis aufsuchte. Ein schwieriger Fall – aber meine Betreuerin war großartig und nonchalant in der Gesprächsführung. Das ist auch einer der wichtigsten Punkte, den ich aus der Famulatur mitnahm: Wie man ein Patientengespräch führt, den richtigen Ton wahrt und auch zeitlich den Rahmen nicht sprengt. Ich denke, das ist eine große Herausforderung in der Praxis – ruhig zu bleiben, aber auch nicht abzustumpfen.
Man muss schon gestehen, dass man als ambitionierter, Initiative zeigender Famulant im Krankenhaus mehr praktisch arbeiten darf, neben Blut abnehmen vor allem Zugänge legen, Wunden nähen, bei kleinen wie großen Operationen assistieren. Was man aber nur in der Praxis in ungefilterter Form erleben kann, sind alle möglichen Krankheiten – sozusagen ein Potpourri an Erstdiagnosen. Die werden zur Abklärung zwar weiterverwiesen, man bekommt die Befunde aber wieder zurück und behält als guter Hausarzt stets die Fäden in der Hand.
Mein Tipp: früh im Studium zum Haus- oder Kinderarzt
Anderen Studierenden würde ich empfehlen, die Famulatur beim Haus- oder Kinderarzt früh im Studium zu planen. Obschon das eigene Wissen noch wenig speziell ist und in den Kinderschuhen steckt, kriegt man eine Menge mit, lernt mehr über die Untersuchungssituation an sich, über Gesprächsführung – alles, was im späteren Berufsleben unabdingbar ist. Ich glaube, dass man sich im kleinen Team einer Arztpraxis mit einem festen Ansprechpartner erst einmal geborgener fühlt. In der Klinik hat man diesen Umgang ja oft nicht. Und was ich noch gern ergänzen möchte: Ich hatte mich im Vorfeld auch außerhalb meines Studienortes um eine Famulatur beworben, bestimmt acht, neun Bewerbungen mit Motivationsschreiben rausgeschickt, aber manchmal überhaupt keine Antwort erhalten. In dieser Praxis bei mir um die Ecke wurde ich hingegen gleich zum Kennenlerngespräch eingeladen. Eine Praxis, in der man auch etwas Vernünftiges lernt, ist mir persönlich immer tausend Mal lieber, als bloß an einem exotischen Ort zu famulieren.
Für mich hat sich jedenfalls schon jetzt herauskristallisiert, dass ich mich gerne niederlassen würde. Ob es aber der Hausarzt wird, das ist noch völlig offen. Als Wahltertial im Praktischen Jahr wähle ich zum Beispiel das Fach Psychiatrie, um einmal mehr über den großen Tellerrand der Medizin zu schauen.«
Julia Winter: »50 Lungen abhören – und die eine Lungenentzündung finden«
»Nach meiner ersten Famulatur in einem schottischen Krankenhaus wollte ich als nächstes unbedingt in eine Kinderarztpraxis: Kinderheilkunde, also Pädiatrie, kann ich mir als Fachgebiet später gut vorstellen, und ich wollte wissen, ob die Niederlassung eine Option für mich ist. In den Wintersemesterferien 2015 war ich dann in einer kinderärztlichen Gemeinschaftspraxis. Ich hatte dort einen festen Betreuer, mit dem ich sozusagen mitgelaufen bin und der mir viel beigebracht hat: impfen, wichtige und häufige Kinderkrankheiten diagnostizieren, die richtige Therapie dafür. Wir hatten außerdem oft U-Untersuchungen, deren Abläufe habe ich kennengelernt. Was gehört dazu, was ist wichtig, auf was muss man achten? Da konnte ich unheimlich viel über die kindlichen Entwicklungsstufen mitnehmen. In der Praxis wurden auch die Hüft-Sonos für Neugeborene gemacht – da habe ich zugeschaut, später durfte ich die Ultraschalluntersuchung selbst ausprobieren. Besonders viel habe ich außerdem über naturheilkundliche Verfahren gelernt. Dafür interessiere ich mich, und die finde ich gerade bei Kindern wichtig. Die Eltern wollen ja oft einfach ein Medikament; Wickel oder Heilkräuter können eine Alternative sein.
Immer das Gleiche? Stimmt nicht.
Ich muss zugeben, am Anfang dachte ich: Ist ja immer das Gleiche. Stimmt aber nicht. Akuterkrankungen, Routineuntersuchungen, Impftermine, Elternsprechstunden – dabei habe ich schnell gemerkt, wie unheimlich breit das Krankheitsspektrum ist. Ein Patient litt zum Beispiel an Krätze. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ein anderer besonderer Fall: ein kleiner Patient mit einer angeborenen Immunschwäche. Wenn dieses Kind in die Praxis kommt, in der ja viele andere Kranke sind, kann das sehr kontraproduktiv sein. Im Krankenhaus wäre es sogar noch schwieriger, das Kind noch viel gefährdeter. Wir haben deshalb eine Lösung gesucht und die Praxis kurzerhand umgeräumt, so dass auf der einen Seite des Flurs die Akutpatienten gewartet haben, auf der anderen nicht-infektiöse Patienten. Das ist nur ein Beispiel, wie man in der Praxis immer schnell auf neue Situationen reagieren können muss.
Wenn die Leute mit ihren Problemen zu einem kommen, trägt man große Verantwortung. Wer ist einfach »nur« krank, wer ist ein wirklicher Notfall? Ich habe mich – und auch meinen Betreuer – gefragt, wie man das macht: 50 Lungen abhören. Und dann die eine erkennen, die tatsächlich eine Lungenentzündung ist. Wie er sagte: Da stehen viel Erfahrung und Übung dahinter. Im Studium hört man ja immer von den komplexesten Krankheiten und lernt darüber die kleinsten Details. In der Praxis muss man hingegen viele alltägliche Krankheiten behandeln, die an der Uni kaum eine Rolle spielen. Bei der seltensten Stoffwechselerkrankung wüsste ich, wie man sie diagnostiziert. Aber was muss man eigentlich bei einer einfachen Grippe tun? Darauf bereitet einen das Studium nicht unbedingt vor.
Am Anfang komisch. Dann schön.
Die ersten Male war es schon komisch, dem Patienten allein gegenüberzusitzen und selbst die Fragen zu stellen. Aber nach ein paar Tagen war das nicht mehr komisch, sondern schön. Denn in der Praxis hat man Zeit für diese Anamnese-Gespräche, muss das nicht zwischen Tür und Angel machen oder, wie im Krankenhaus, direkt am Bett. Das war ein großer Unterschied zu meiner Klinikfamulatur, die ich diesen Sommer ebenfalls in der Pädiatrie absolviert habe. Auch die Arbeitsstruktur in der Praxis ist ja ganz anders als im Krankenhaus, wo man schon als Famulant merkt, wie groß der Stress ist: Man kann sich seine Aufgaben kaum aussuchen, rotiert auch als Assistenzarzt ohne Flexibilität und Freiraum zwischen Ambulanz und Station. Ich kann mir also sehr gut vorstellen, mich niederzulassen. Ich will auch nicht morgens um 7 ins Krankenhaus gehen und frühestens um 21 Uhr wieder zuhause sein. Eine Praxis lässt sich da viel besser mit Freizeit und Familie vereinbaren.
Langfristig etwas bewirken - darum geht es
Mir hat einmal ein Arzt einen schönen Spruch mitgegeben: »Es geht bei der Bildung nicht darum, das Gedächtnis wie ein Fass zu füllen. Sondern darum, Lichter anzuzünden, die allein weiterbrennen können.« Das passt: Im Studium hat man den Kopf immer so voll mit Details über Krankheitsbilder und oft das Gefühl, man werde nie alles wissen. Die Erkenntnis, dass es darum gar nicht geht, sondern eher darum, langfristig etwas zu bewirken, gefällt mir. Kein Patient möchte das Gefühl haben, nur ein Fall im Lehrbuch zu sein. Zuhören und Einfühlungsvermögen sind viel wichtiger. Es gibt einfach sehr viele Faktoren, die Krankheiten entstehen lassen, nicht nur auf organischer Ebene. Ich denke, es ist das Wichtigste, sich offen auf den Patienten einzulassen.«
David Janke: »Die Rettungsstelle war das Kontrastprogramm«
»Ich habe mittlerweile alle Famulaturen hinter mir: Zwei Monate war ich im Krankenhaus, davon ein Monat in der Kinderonkologie und ein Monat in der Anästhesie; dann ein Monat Rettungsstelle und ein Monat bei einer Hausärztin in der Praxis – das war übrigens meine allererste Famulatur. Ich glaube, für eine gelungene Famulatur ist es immer gut, Interesse zu zeigen; das geht am besten, wenn man sich eine Fachrichtung aussucht, auf die man auch Lust hat. Wenn die Ärzte merken, dass man nachfragt, sind sie bereit, einem Dinge zu erklären und einen auch mal machen zu lassen.
Hausarztpraxis: der Rahmen ist überschaubarer
Wenn ich meine Famulaturen heute vergleiche, gab es bei der Hausärztin vor allem die größte Routine. Im Mittelpunkt standen eher die Therapieoptimierung und die Besprechung von Befunden mit dem Patienten statt großer Untersuchungen. Röntgen oder Ähnliches können viele Hausarztpraxen ja gar nicht stemmen. Dort laufen viel mehr die Fäden zusammen, man kümmert sich quasi aus einer Hand um den Patienten und delegiert besondere Untersuchungen an den Spezialisten. Kleine Eingriffe wie Blut abnehmen oder Impfungen übernehmen in der Regel die Praxishelferinnen. In der Famulatur war das dann natürlich auch mein Job, ebenso EKG schreiben. Wenn Akutfälle ohne Termin kamen, waren das meist Magen-Darm-Erkrankungen oder Erkältungen, also Patienten, die eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung brauchten. Die habe ich kurz befragt, was ihre Beschwerden sind, und symptomorientiert untersucht.
Im Vergleich zum Krankenhaus würde ich die Praxisfamulatur als gemütlicher bezeichnen. Der Rahmen ist überschaubarer. Man weiß oft, welche Patienten an dem Tag kommen. Im Krankenhaus ist das zwar manchmal auch der Fall, in der Anästhesie weiß man, welche Operationen morgen dran sind. Aber eine OP ist doch eine andere Sache. Wenn ich an meine Station in der Kinderonkologie denke, gab es da übrigens auch viel Routine; dort wird ziemlich strukturiert geplant. Das geht, weil die Behandlungsprotokolle bei Krebspatienten vorgegebenen Zyklen folgen. Das hat mich an die Niedergelassenen-Famulatur erinnert.
In der Rettungsstelle sind 90 Prozent der Patienten unbekannt
Das größte Kontrastprogramm zur Hausarztfamulatur war eigentlich die Rettungsstelle. Obwohl die gerade am Wochenende von vielen mit einer Praxis verwechselt wird. Dabei ist die Rettungsstelle für akut lebensbedrohliche Situationen gedacht! Der Kontrast kommt vor allem daher, dass 90 Prozent der Fälle dort unbekannte Patienten sind, mit denen man sich völlig neu befassen muss. Weil es immer nur um die Akutsituation geht, ist die Betreuung natürlich nicht so tiefgehend.
Mir hat die Hausarztfamulatur jedenfalls viel Spaß gemacht. Dort herrschte die entspannteste Arbeitsatmosphäre. Außer dem Zeitdruck gab es nicht viel Stress, die Ärztin kannte die meisten Patienten schon lange. Die Idee, mich einmal niederzulassen, finde ich also immer noch attraktiv. Die Frage: »Welche Fachrichtung?« ist nach den Famulaturen aber eher noch komplizierter geworden. Ich fand alles toll.
Darauf bereitet uns die Uni ganz gut vor
Wenn man sich niederlässt, zählen auch organisatorisches Talent und ein bisschen wirtschaftliches Verständnis: Ich habe in der Famulatur hier nur einen kleinen Einblick bekommen und muss sagen – wie das mit dem Budget läuft, habe ich nicht richtig durchblickt. Da fliegen schon sehr viele Zahlen durch den Raum. Aus medizinischer Sicht, glaube ich, kommt es in der Praxis vor allem darauf an, genau zu wissen, was der nächste Schritt ist. Und zu entscheiden, wann man andere Fachärzte einbezieht oder Alternativen anbietet. Das muss man dann ja auch dem Patienten mitteilen – so, dass er nicht das Vertrauen verliert. Ich studiere in Berlin im Modellstudiengang Medizin und finde, wir werden ganz gut auf solche Gespräche vorbereitet. Auch in andere Hinsicht habe ich das in den Famulaturen gemerkt: Das, was man an der Uni lernt und macht, bringt einem wirklich was. Ein gutes Gefühl.
Meine Tipps? Ich fand es interessant, für die Famulatur auch mal aus Berlin rauszukommen. Im Ausland war ich selbst nicht. Das ist für die Lebenserfahrung bestimmt klasse, aber je nachdem, wie weit ein Land medizinisch entwickelt ist, für die Berufswahl vielleicht nicht immer hilfreich. Empfehlenswert finde ich auch das Webportal www.famulatur-ranking.de, wo man viele Erfahrungsberichte anderer Studierender findet. Und noch ein Tipp: Es hilft, wenn man sich am ersten Tag bei allen vorstellt. Und sich im Krankenhaus nicht mit dem Pflegepersonal anlegt.«