Notaufnahme: jeder Fall ein Notfall?
Drei Uhr nachts. Ein Krankenwagen fährt ein. Der Patient befindet sich in kritischem Zustand – oder nicht? Lisa von Parzotka-Lipinski arbeitet seit zwei Jahren als Assistenzärztin im St. Barbara Hospital in Gladbeck. Im 24-Stunden-Dienst verantwortet sie von 16 Uhr bis 8 Uhr morgens die Notaufnahme der Inneren Medizin. Häufig bescheren ihr aber Bagatellfälle schlaflose Nächte.
Lesedauer: ca. 5 Minuten
Lisa, wie sieht ein »typischer« Dienst in der nächtlichen Notaufnahme aus?
Mein Tag beginnt um 10 Uhr mit der regulären Stationsarbeit. Ab 16 Uhr bin ich dann in der Notaufnahme und habe dort bis 8 Uhr am nächsten Morgen Bereitschaft. In dieser Zeit behandle ich Notfälle, das sind meist Patienten mit Luftproblemen oder akuten Schmerzen.
Darüber hinaus kommen auch immer wieder Patienten mit Beschwerden wie Magenschmerzen oder einer Erkältung, die den Bereitschaftsdienst in der Notaufnahme nutzen, um Wartezeiten beim Hausarzt zu umgehen. Selbstverständlich behandeln wir jeden Patienten, der bei uns vorstellig wird, aber dieses Ausnutzen der Notaufnahme ist für mich und die anderen Ärzte im nächtlichen Dienst natürlich ärgerlich. Wir sind ja eine Notaufnahme und keine Ambulanz.
Ist das denn ein großes Problem?
Ja, es kann zumindest unmittelbar zu einem werden. Durch die Menge der Patienten, die sich mit leichten Beschwerden in der Notaufnahme behandeln lassen, ist die Aufnahme absolut überfüllt und dadurch kann es im schlimmsten Fall auch dazu kommen, dass tatsächliche Notfall-Patienten mehrere Stunden ohne Behandlung im Wartezimmer verbleiben. Schätzungsweise sind 30 Prozent der Patienten in der Notaufnahme auch tatsächlich Notfälle.
Glaubst du, die Menschen haben den Unterschied nicht verstanden? Was steckt dahinter?
Die Notaufnahme ist für Patienten gedacht, die stationär aufgenommen werden müssen – Notfälle eben. Für Patienten, bei denen eine Aufnahme nicht notwendig ist, gibt es nach Sprechstundenschluss einen ärztlichen Bereitschaftsdienst. Unter der Telefonnummer 116117 ist dieser erreichbar, das wissen viele Patienten allerdings nicht.
Hast du das Gefühl, dass die Patienten sich schon bei Google eine Diagnose holen?
Das ist sehr selten der Fall. Bei gängigen Krankheitsbildern wie einer Erkältung passiert das nicht. Krebspatienten hingegen informieren sich natürlich genauer über ihre Symptome, hier ist der Gesprächsbedarf hoch und die Patienten bereiten sich darauf vor. Ganz vereinzelt erleben wir auch Kuriositäten, die uns dann schmunzeln lassen müssen.
Sind dir da noch Fälle im Kopf geblieben?
In der letzten Silvesternacht hatte ich Bereitschaftsdienst und um 3 Uhr morgens eine junge Frau, etwa Anfang 20, in der Notaufnahme. Leicht angetrunken und in Begleitung ihrer Freundin klagte sie panisch über die schlimmsten Bauchschmerzen ihres Lebens – auf der Schmerzskala eine glatte 10. Bei der Aufnahme lag die junge Frau dann aber entspannt auf der Liege und quatschte mit ihrer Freundin. Bei einem solchen Fall ist dann natürlich relativ schnell klar, dass die Selbsteinschätzung nicht mehr ganz der Realität entspricht.
Hast du Sorge, einen Fall nicht richtig einzuschätzen, wenn Patienten sich mit augenscheinlich banalen Beschwerden vorstellen?
Wir schauen uns natürlich jeden Patienten genau an und untersuchen ihn körperlich. In den meisten Fällen kann man dann schon beurteilen, ob es sich um ein »Wehwehchen« oder eine ersthafte Erkrankung handelt. Wenn das nicht sofort klar ist, nehmen wir die Patienten stationär zur Überwachung auf, um jegliches Risiko auszuschließen. Im Endeffekt tragen wir die Verantwortung für jeden Patienten und nehmen diese auch ernst.
Und wenn auf einmal doch ein Notfall kommt?
Wir behandeln die Patienten entsprechend der Ankunft in der Notaufnahme, solange kein absoluter Notfall gemeldet wird. Bei einem Schlaganfall beispielsweise besteht nur ein kleines Zeitfenster, in dem wir den Patienten helfen können. Ein solcher Fall hat dann natürlich Vorrang und wird sofort aufgenommen. Bei der Einschätzung der Patienten helfen die Nachtschwestern, die Notfälle erkennen und schnellstmöglich versorgen.
Verstehen das auch Patienten, die schon länger gewartet haben?
Das ist charakterabhängig, notorische Nörgler gibt es wahrscheinlich in jeder Situation. Die meisten Patienten sind aber verständnisvoll und verstehen, wenn Notfälle sofort behandelt werden müssen.
Zum Beispiel Patienten, die im Krankenwagen zur Notaufnahme kommen?
Das nehmen viele an, ist aber pauschal nicht so zu sagen. Selbst Patienten, die mit dem Krankenwagen kommen, werden nicht automatisch vorrangig behandelt. Viele rufen den Krankenwagen anstelle des Taxis, betreten die Notaufnahme dann aber neben der Liege herlaufend, anstatt auf dieser zu liegen. Dabei ist der Krankentransport ausschließlich für Patienten vorgesehen, die zu schwach sind, selbstständig ins Krankenhaus zu kommen.
Gibt es denn Nächte, in denen du mal durchatmen kannst?
Es sind deutliche saisonale Unterschiede zu spüren. Im Sommer erlebt man so etwas wie ein Sommerloch, da kommt es vor, dass es in der Bereitschaft ruhig ist und man die Zeit zum Schlafen nutzen kann. Im Winter dagegen sind es deutlich mehr Patienten – häufig mit einfachen, grippalen Infekten. In den Wintermonaten sind viele Krankenhäuser überfüllt. Das sind Nächte, in denen ich durchgehend wach bin. Selbst in kleineren Pausen kann man dann ja nicht sofort schlafen. Für Patienten mit akuten Problemen stehe ich gern auf oder arbeite Nächte durch. Wenn ich aber eine ganze Nacht mit Fällen verbringe, die ich nicht als Notfall einstufe, demotiviert das schon.
Gibt es denn Möglichkeiten, die Notaufnahme zu entlasten?
Es würde sehr helfen, den ärztlichen Bereitschaftsdienst noch weiter auszubauen und vor allem die Rufnummer 116117 weiter zu verbreiten. So würden zumindest Patienten, die aus Unwissenheit in die Notaufnahme kommen, das nächste Mal zum Hörer greifen.
Willst du auch nach deiner Assistenzzeit in der Inneren Medizin beim Krankenhaus bleiben? Oder planst du, dich niederzulassen?
Mein Plan ist definitiv, mich niederzulassen, deswegen mache ich ja auch meinen Facharzt in der Allgemeinmedizin. Bald bin ich noch ein Jahr in der Psychiatrie, dann stationär auf der Neurologie und anschließend zwei Jahre Assistenzärztin in der Praxis. Danach möchte ich als Hausärztin arbeiten.