Herzklopfen oder Kammerflimmern?
Dass Mediziner:innen sich ineinander verlieben, ist gar nicht mal so selten. Doch wie hoch ist die Gefahr, dass die gemeinsame Profession zur Überdosis wird? Zwei Paartherapeut:innen verraten, was Ärzt:innen in der Beziehung beachten sollten.
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Wie schnell ist das passiert: Wir vergucken uns in unseren Sitznachbarn im Hörsaal oder bekommen Herzklopfen bei der Kollegin in der Weiterbildung – und schon erblickt ein weiteres Mediziner:innenpärchen das Licht der Welt. Den oder die Partner:in immer um sich zu haben, das ist für viele wunderschön. Der gleiche Beruf oder sogar die gemeinsame Anstellung oder Praxis können jedoch auch zur Herausforderung werden. Wie Mediziner:innen-Paare diese Stolpersteine umgehen und ihre Liebe am Leben halten können, wissen die Paartherapeut:innen Christiane Boehm und Dr. Peter Rottländer. In ihrer Frankfurter Praxengemeinschaft beraten sie regelmäßig Ärzt:innen-Paare und kennen häufige Probleme.
Frau Boehm und Herr Dr. Rottländer, welche Vorteile haben Paare mit gleichem Beruf?
Boehm: »Da der Beruf einen großen Teil der Lebenszeit einnimmt, teilen Paare mit dem gleichen Beruf diesen großen Teil der Lebenszeit. So kann es einfacher sein, die typischen beruflichen Konstellationen, Schwierigkeiten und Konflikte nachzuvollziehen. Idealerweise kann sich der eine vom anderen verstanden fühlen, gerade auch in schwer belastenden Situationen. Hier können sich allerdings auch Konflikte entzünden, wenn die Verarbeitungsweise sehr verschieden ist. Dennoch: Beide sprechen die gleiche Sprache, und oftmals entwickelt sich ein gemeinsamer Freundeskreis mit Kolleg:innen.«
Rottländer: »Andererseits ist es wichtig zu sehen, dass die individuellen Unterschiede bestehen bleiben. Wenn der eine Partner eher kreativ-chaotisch lebt und arbeitet und die andere eher zwanghaft-diszipliniert, dann bleibt vom gemeinsamen Beruf im jeweiligen inneren Erleben nicht viel an Gemeinsamem übrig. Da kann der gleiche Beruf sogar zum Feld der Paarkonflikte werden.«
Gibt es noch weitere Nachteile?
Boehm: »Es kann auch zu einer Konkurrenz kommen: Wer ist besser in dem, was beide tun? Zum Beispiel bei einer gemeinsamen ärztlichen Praxis: Zu wem wollen mehr Patient:innen? Auch kann es passieren, dass der Beruf viel zu viel Raum einnimmt und die Paarkommunikation beherrscht.«
Rottländer: »Beste Kolleg:innen sind nicht unbedingt beste Partner:innen – und vice versa.«
Welche Strategien gibt es, diese Nachteile auszugleichen?
Boehm: »Es ist wichtig, Raum zu schaffen für Dinge oder Aktivitäten, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Wenn man schon sowohl ein Paar ist als auch einen gemeinsamen Beruf hat, ist es wichtig, auch jeweilige individuelle Interessen zu pflegen.«
Rottländer: »Partner:innen brauchen in der Regel immer auch etwas Distanz, um sich wieder aufeinander zu freuen. Wenn beide immer zusammen sind, können die Vorfreude aufeinander und damit auch das Begehren leicht zu kurz kommen.«
Wie sieht der Sonderfall aus, wenn Paare sogar zusammenarbeiten? Welche Stolperfallen stellen sich dann?
Rottländer: »Wenn es individuell auch sehr unterschiedlich ist, so brauchen doch alle Paare einen Mix aus Zusammensein und Nicht-Zusammensein, einen Mix aus »Wir« und den beiden »Ichs«. Paare, die auch beruflich zusammenarbeiten, sollten dafür Sorge tragen, dass jede:r einzeln genügend Raum hat.«
Boehm: »Auch gibt es spezifische Herausforderungen in der Arbeit selbst: Kolleg:innen – und sei es die Sprechstundenhilfe – bekommen alles mit. Das Privatleben zeigt sich viel deutlicher im Berufsleben, wenn beide die gleiche Arbeit tun. Konflikte, die jemand mit dem einem hat, können auf den anderen übertragen werden. Und: Der oder die Partner:in kriegt so ziemlich alles mit. Es gibt wenig Berufsraum, der dem Blick des oder der Partner:in entzogen ist.«
Rottländer: »Andererseits möchten wir doch auch betonen, dass es eine ganz großartige Erfahrung sein kann, gemeinsam mit dem oder der Partner:in beruflich etwas aufzubauen und weiterzuentwickeln. Das kann sehr viel Befriedigung für beide beinhalten und die Paarbeziehung bereichern. Es ist unserer Einschätzung nach wirklich so: Eine berufliche Zusammenarbeit von Paaren beinhaltet enorme Chancen, aber sie beinhaltet zugleich eben auch spezifische Herausforderungen.«
Welche Erfahrungen haben Sie explizit mit Mediziner:innen gemacht? Schweißen derselbe Beruf und dieselben Erfahrungen das Paar in der Regel zusammen – oder ist der Beruf häufig Grund für Streitigkeiten?
Rottländer: »Wir haben den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren einige bedeutsame Veränderungen vollzogen haben. Von älteren Ärzt:innenpaaren kennen wir Konflikte, die sich auf die überragende Dominanz des Berufsfeldes beziehen. Die Praxis geht vor – und es bleibt wenig Raum für ein Privatleben, was oftmals auch die Kinder als beeinträchtigend erleben. Hier hat der Beruf das Paar zwar zusammengeschweißt, jedoch zugleich zu wenig Raum für anderes gelassen. Das gilt selbstverständlich nicht für alle und ist ein Eindruck aus Erfahrung, der nicht unbedingt verallgemeinerungsfähig ist.«
Boehm: »Und genauso subjektiv ist auch unser Eindruck von den jüngeren Ärzt:innen, die versuchen, die Schwierigkeiten der älteren zu umgehen, indem sie flexiblere Modelle der Berufspraxis entwickeln. Sie gründen Praxisgemeinschaften oder medizinische Versorgungszentren, in denen die oder der jeweils einzelne seine Arbeitszeiten den privaten Notwendigkeiten besser anpassen kann. Sie planen oft von Anfang an Teilzeitmodelle – in denen etwa beide jeweils 80 Prozent arbeiten und so mehr Spielraum im familiären und überhaupt privaten Umfeld haben. Es kommt uns so vor, als würde dies für das partnerschaftliche Zusammensein förderlich sein. Dass es trotzdem alle möglichen Paarkonflikte gibt, ist klar. Aber sie entstammen weniger einer beruflichen Über-Beanspruchung.«