Klinik oder Praxis?
Lass ich mich wirklich nieder oder lass ich's lieber sein? Ewa Koschinski, mittlerweile im dritten Jahr ihrer Facharztausbildung, weiß zumindest, was ihr wichtig ist: Sie will im Team arbeiten, auch Präventionsleistungen anbieten, nicht zu viele Überstunden machen – und mehr Zeit für Familie und Hobbys haben. Uns hat sie von ihren Erfahrungen aus der Weiterbildung berichtet.
Es ist schwierig, sich mit Ewa Koschinski zu einem Gespräch zu verabreden – jedenfalls zu gängigen Arbeitszeiten: Als Assistenzärztin in der Abteilung für Innere Medizin eines Krankenhauses sind Überstunden bei ihr zurzeit ganz normal, oft wird es 21 Uhr, bis sie wieder zuhause ist. Ganz schön spät, erst recht wenn man wie sie Kind und Familie hat – und dann auch noch Hobbys, die einem wichtig sind: Ewa Koschinski ist leidenschaftliche Eiskunstläuferin und nebenbei Trainerin für Kinder. Deutlich mehr als 40-Stunden-Wochen auf Station, diese Belastung ist deshalb auf Dauer keine Option für sie: »Das ist einfach zu viel. Auch in der Praxis macht man abends manchmal Überstunden. Aber die Wochenenden sind frei, und am Freitag hat man früher Schluss. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Weiterbildungsabschnitt in der Praxis«, sagt sie.
Allein in eine Praxis? Nichts für mich.
Ewa Koschinski weiß, wovon sie spricht. Sie kennt die Klinik, nicht nur als Ärztin: Vor ihrem Studium hat sie als Krankenschwester gearbeitet. Und sie kennt die Abläufe in der Niederlassung; direkt nach ihrem Abschluss war sie eineinhalb Jahre Weiterbildungsassistentin in einer nephrologischen Facharztpraxis. Eine Gemeinschaftspraxis mit drei Ärzten, angesiedelt in einem Ärztehaus. »Das war optimal«, sagt sie. »Direkt nebenan die Orthopäden, Urologen, alle möglichen Fachrichtungen. Wenn man einen Patienten überwiesen hatte, konnte man sich anschließend noch einmal erkundigen, ob sich die Verdachtsdiagnose bestätig hat. Solche Teamarbeit ist mir sehr wichtig. Alleine in einer Einzelpraxis will ich nicht arbeiten.«
Ihr Ideal hingegen: dass alle Fachkräfte gemeinsam ihr Bestes für die Gesundheit der Patienten geben und sich dafür auch austauschen. Im Krankenhaus habe sich mittlerweile schon einiges geändert, sagt sie, die Strukturen seien oft nicht mehr so starr wie vor 15 Jahren – die Hierarchien mit älteren Oberärzten und Chefärzten dennoch ausgeprägter als beispielsweise im Ärztehaus.
Mein Praxistipp: Muss es immer die Klinik sein?
Die Weiterbildungszeit nach dem Abschluss direkt in einer Praxis zu beginnen, sei unter Studierenden nicht angesagt, hat Ewa Koschinski beobachtet, das ganze Studium ist eben aufs Krankenhaus orientiert. Sie findet rückblickend: »Es war für mich genau das Richtige. Ich würde das Frauen und Männern empfehlen, die sich oft fragen, wie sie ihren Alltag rund um die Familie und Klinik organisieren – dabei muss es ja gar nicht die Klinik sein.« Auch bei ihr hatte das Plus an Flexibilität damals den Ausschlag gegeben. Der nächsten Generation würde sie sogar ermutigen, schon im PJ Zeit in der Praxis zu verbringen – einfach, um auch diese Art zu arbeiten richtig kennenzulernen: Die Famulatur im fünften oder sechsten Semester liegt dann schließlich schon wieder eine ganze Weile zurück und bietet über vier Wochen auch nur einen kurzen Einblick in die hausärztliche Versorgung.
»Präventionsarbeit sollte einen höheren Stellenwert haben«
Doch wo liegen eigentlich die Unterschiede – was ist so anders an der Praxis? »Natürlich lernt man in der Klinik viel mehr«, findet Ewa Koschinski, »richtige Schulmedizin und Diagnostik, mehr schwere Fälle und im Notfall richtig zu entscheiden, was in der Praxis nachher unerlässlich ist. Die Patienten müssen akut behandelt werden.« Oft ist sie im Krankenhaus aber auch mit dem Tod konfrontiert, mit Patienten in ihrem allerletzten Lebensabschnitt, die, wie sie zusammenfasst, oft zum Sterben eingeliefert werden. Das ist auf Dauer hart. In die Praxis hingegen kommen Patienten, die ein anderes Krankheitsbild haben, denen zum Beispiel mit einer Verordnung sehr gut zu helfen ist. »Ich finde, die Präventionsarbeit, das Gespräch über gesunde Ernährung und Bewegung, das sollte im Alltag – und auch schon in der Medizinerausbildung – einen größeren Stellenwert haben«, wünscht sie sich. »Vor allem im Krankenhaus kommt man da ja gar nicht dazu. In der Praxis hat man nicht nur andere Patienten, man plant seinen Alltag auch selbst, und kann sich dafür Raum schaffen.«
Mehr Zeit für sprechende Medizin: Vertrauen aufbauen dauert
Ein Arbeitstag, der weniger durchgetaktet ist, stattdessen mehr Zeit lässt für sprechende Medizin – und damit das, was ihr am Herzen liegt. »Es dauert einfach, Vertrauen aufzubauen. In der Praxis habe ich dafür mehr Zeit, gerade als Ärztin in der Weiterbildung wird da nicht so auf die Uhr geschaut«, sagt sie. Kurz: Es bleibt mehr Zeit für die Patienten und die persönliche Zuwendung: »Frau Doktor, Sie haben mir das Leben gerettet«, mit diesen Worten stürmte einmal ein Mann in die Praxis, dem es nach der Diagnose und der anschließenden Überweisung endlich wieder besser ging. Ewa Koschinski erinnert sich gern daran. »Das war in diesem Ausmaß natürlich eine Ausnahme, aber grundsätzlich tut es gut, zu sehen, was man bewirkt.« In der Facharztpraxis sei diese Rückkopplung wesentlich direkter als zurzeit in der Klinik. Dabei sei das wichtig für die eigene Arbeit.
Viel spricht also für die Niederlassung, auch wenn die konkrete Entscheidung dafür bei Ewa Koschinski noch aussteht. Sich selbständig machen, mit all den Verwaltungsaufgaben, oder doch lieber erst einmal angestellt arbeiten? Auch bei der Fachrichtung hat sie noch zwei Optionen offen: Ob Innere oder Allgemeinmedizin, das muss sie erst mit ihrer letzten Weiterbildungsstation festlegen. Noch bleibt ihr ein bisschen Zeit, das Richtige für sich zu finden.