»Allgemeinmedizin ist vielschichtiger, als man denkt«
Nils Kathmann studiert im sechsten Semester Medizin an der Universität Halle. Seit Studienbeginn ist er zudem Teilnehmer der Klasse Allgemeinmedizin – ein bundesweit einmaliges Projekt der Universität, das vor allem eines bedeutet: Praxiskontakt von Anfang an.
Herr Kathmann, Sie sind Student der Klasse Allgemeinmedizin. Was bedeutet das?
Die Klasse Allgemeinmedizin ist ein Angebot im Rahmen des Studiums der Humanmedizin: ein Förderprojekt für die Allgemeinmedizin, das sich durchs ganze Studium zieht. Der Name kommt daher, weil wir in einem Klassenverband mit bis zu 20 Studierenden eines Jahrgangs zusammen lernen. Ab dem ersten Semester haben wir Hospitationstage bei einem niedergelassenen Allgemeinmediziner, dem sogenannten Mentor, plus drei zusätzliche Seminare mit den Schwerpunktthemen Kommunikation, Fertigkeitentraining und integrierte Medizin. Das Wissen daraus können wir in der Praxis unseres Mentors praktisch anwenden.
Was gefällt Ihnen daran am besten?
Die Erfahrung, die ich durch das Mentorenprogramm sammeln kann. Einmal im Semester bin ich drei Tage in der gleichen Praxis im ländlichen Sachsen-Anhalt. Das ist eine gute Berufsvorbereitung, und ich habe aus dem Praktikum schon viel gelernt. Ohne die Klasse Allgemeinmedizin hätte ich bisher kaum Kontakt zur Praxis gehabt.
Was lernen Sie in der Praxis?
Wir wenden das an, was wir im Seminar gelernt haben – zum Beispiel hatten wir dort die Untersuchung des Brustbereichs, und dann höre ich eben an den Praxistagen Lunge und Herz ab. Außerdem habe ich natürlich inhaltlich eine Menge gelernt, und auch persönlich: Als Anfänger neigt man ja dazu, unsicher und aufgeregt zu sein. Mein Mentor hat mir vermittelt, wie man Ruhe und Sicherheit ausstrahlt, so dass der Patient Vertrauen aufbauen kann.
Was ist für Sie das Besondere an dem Modell?
Ganz besonders ist die Orientierung in Richtung Allgemeinmedizin, die man sonst erst spät im Studium kennenlernt. Am Anfang gefiel mir vor allem das Kommunikations- und Fertigkeitentraining. Mittlerweile finde ich es besonders schön, einen Patienten zu haben, den man jedes Semester wiedersieht: Es ist Bestandteil des Programms, dass man einen chronischen Patienten kontinuierlich mitbetreut. Ich merke daran, wie viel ich in den letzten drei Jahren gelernt habe.
Hat das Ihr Bild vom Landarzt verändert?
Auf jeden Fall. Die Allgemeinmedizin ist vielschichtiger, als man denkt. Man betreut nicht nur alte Patienten, sondern ganze Familien, nicht nur Chroniker, sondern auch Notfälle. Jeder Patient bringt eine neue Geschichte mit. Das ist kein langweiliger Job, sondern wirklich spannend. Und man wendet Wissen aus dem ganzen Spektrum der Medizin an, selbst wenn es nicht so in die Tiefe geht wie beim Spezialisten. Hausarzt heißt ja nicht, dass man nur mit dem Patienten spricht und ihn dann an den Facharzt verweist. Man führt viele Untersuchungen selbst durch, auch mit medizintechnischen Geräten, und macht kleine chirurgische Eingriffe. Gerade auf dem Land möchte man seine Patienten ja nicht so häufig in die Stadt schicken müssen, wenn es nicht notwendig ist.
Wie stellen Sie sich denn Ihre spätere Berufstätigkeit vor?
Zu Beginn des Studiums hatte ich noch keine klare Vorstellung, aber mittlerweile kann ich mir sehr gut vorstellen, mich als Hausarzt in einer ländlichen Region niederzulassen. Mir gefällt der direkte Kontakt zu den Patienten. Man sieht und behandelt verschiedene Krankheitsbilder. Es ist ein Vorteil für die Arzt-Patienten-Beziehung, dass man einfach oft der erste medizinische Ansprechpartner ist, und das über lange Jahre. Ich habe festgestellt, dass mir die Arbeit mit den Patienten wirklich wichtig ist und mir auch persönlich viel gibt.
Würden Sie die Klasse Allgemeinmedizin weiterempfehlen?
Studierenden, die sich für die Allgemeinmedizin interessieren, und auch denjenigen, die noch Vorbehalte haben, würde ich das auf jeden Fall empfehlen. Die Teilnahme ist zwar eventuell ein kleiner Mehraufwand im Semester, aber der lohnt sich. Man gewinnt dadurch mehr, als man sozusagen investiert, alleine im Umgang mit Menschen und aus den sozialen Kontakten.
Stichwort Gewinn: Es gibt auch ein Förderprogramm.
Ja, wir können uns bei der Kassenärztlichen Vereinigung um ein spezielles Stipendium bewerben. Dann bekommt man 800 Euro im Monat, muss sich dafür aber nach dem Studium und der Facharztausbildung in Sachsen-Anhalt niederlassen – mindestens so lange, wie man das Stipendium bezogen hat. Das ist eine super Möglichkeit, sich aufs Studium konzentrieren zu können.
Legt man sich durch das Projekt schon auf eine spätere Niederlassung fest?
Nein. Das passiert erst mit der Förderung. Mit der Teilnahme an der Klasse Allgemeinmedizin geht man keine Verpflichtung ein, sich später als Allgemeinarzt in Sachsen-Anhalt niederzulassen. Ich werde dadurch auch noch nicht gezwungenermaßen Allgemeinmediziner, sondern mir stehen die gleichen Optionen offen wie meinen Kommilitonen. Ziel ist eher, dass wir Lust auf die Allgemeinmedizin bekommen und in gewisser Weise auch den Schrecken davor verlieren.
Und wie wird man Teilnehmer dieses Projekts?
Ausgewählt werden die Teilnehmer über Bewerbungsgespräche. Im Wintersemester 2014/15 hat bereits der vierte Jahrgang begonnen.
Auch ab Oktober 2016 sind wieder Bewerbungen für die Klasse Allgemeinmedizin möglich.