»Ich will nicht, dass die Praxen auf dem Land aussterben«
Sarah Atighetchi studiert im 9. Semester Medizin an der Universität des Saarlandes. Hier erzählt sie, wie sie den Alltag in der Hausarztpraxis bisher erlebt hat: in der Großstadt, im Ausland und im 3.000-Seelen-Dorf.
»Ich habe bisher drei Famulaturen absolviert, eine in NRW, eine in Baden-Württemberg auf dem Land und eine in Südfrankreich, in einem Urlaubsort am Meer. Da habe ich schon Unterschiede festgestellt: In der Stadt ist die Bindung der Patienten an ihre Hausarztpraxis weniger eng; es gibt auch mehr Fachärzte. Der Landarzt hat hingegen ein breiteres Spektrum, da kommen zum Beispiel auch Kinder zur Vorsorgeuntersuchung. Ich kann mir gut vorstellen, später dementsprechend zu arbeiten. Ich komme selbst vom Land, bin in der Nähe von Rottweil in einem 3.000-Einwohner-Ort groß geworden. Dort sind die Nachwuchssorgen groß, die Arztpraxen finden nur schwer einen Nachfolger. Die Ärzte freuen sich deshalb, wenn die Studierenden ihren Praxisalltag kennen lernen wollen, so dass ich viel lernen konnte. Da meine Eltern und mein Opa selbst Ärzte sind und sie eigentlich jeden Landarzt vor Ort kennen, sind mir die Schwierigkeiten bewusst, die die Landärzte haben.
Die wirtschaftliche Seite rund um die Niederlassung interessiert mich sehr. Gerne würde ich deshalb noch einen Master in Gesundheitsökonomie machen. Ich möchte gerne Praxismanagerin sein. Gut vorstellen kann ich mir auch, dass ich dann noch angestellte Ärzte beschäftige. Bei der Fachrichtung bin ich mir noch nicht so sicher. Um mich als Hausärztin niederzulassen, kann ich mich entweder auf Allgemeinmedizin oder auf Innere Medizin spezialisieren. Eine Alternative wäre die Neurologie. Dann müsste ich mit meiner fachärztlichen Praxis aber schon in einen größeren Ort gehen.
Innere Medizin ist die Mutter der hausärztlichen Tätigkeit
Zurzeit promoviere ich in der Kardiologie über ein Thema aus der Pathophysiologie. Das Herz ist so komplex, vieles ist noch nicht erforscht. Das fasziniert mich. Ich möchte später gern viel Diagnostik machen, Echokardiographien zum Beispiel – und die dann auswerten. Für mich ist das etwas ganz Besonderes. Die Innere Medizin ist in gewisser Weise die Mutter der hausärztlichen Tätigkeit – sie ist der Grundbaustein. Was mich an der Arbeit in der Praxis gerade auf dem Land besonders anspricht, ist, dass man sich wirklich auf den Menschen konzentrieren kann, vom Enkel bis zum Opa, von der Geburt bis zum Tod. Dass man die Generationen kennt, ist gut und wichtig, um eine direkte Beziehung zu Menschen aufbauen zu können.
Im ländlichen Bereich wird viel über Telemedizin diskutiert. Klar hat dies Vorteile. Aber ein Hausbesuch ist besonders wichtig. Wenn mir der Patient seine Probleme beschreibt, ist das eine Sache. Aber ihn live zu sehen und zu erleben, ist doch etwas ganz anderes. Zum Beispiel die Hautfarbe – die kann am Bildschirm verfälscht werden. Ich kann auch keine ärztliche Untersuchung mit Abhören von Herz und Lunge durchführen.
Die Landarzttätigkeit ist nicht das Problem
Ich habe Allgemeinmediziner als sehr kompetent erlebt: Die haben den Rundumblick. Bei meinem Praktikum in Südfrankreich hatte der Landarzt kaum Apparate und konnte trotzdem sehr gut Diagnosen stellen. An der Universität des Saarlandes in Homburg ist die Lehrveranstaltung Allgemeinmedizin sehr gut strukturiert, sodass man von den Professoren sehr viel lernen kann. Ebenfalls gibt es in Homburg ein Fach, das HOM-KIT heißt: Ein Kommunikationstraining, in dem man auf den Kontakt mit den Patienten vorbereitet wird und lernt, ihnen gut zuzuhören und in bestimmten Situationen richtig zu reagieren.
Ich fürchte, dass Quoten und selbst die finanzielle Förderung nicht viel gegen den Landarztmangel helfen – trotzdem ist die Förderung der richtige Weg. Allerdings ist aus meiner Sicht auch gar nicht die Landarzttätigkeit an sich das Problem, sondern die fehlende Infrastruktur auf dem Land, Mobilität, Schulen, schnelles Internet etc. Das ist einfach schwieriger – zum Beispiel ist es beruflich für den Partner in einer Stadt fast immer leichter. Außerdem gibt es in kleinen Orten Kindergartenplätze (wenn überhaupt) oft erst ab drei Jahren, Ganztagsbetreuung fehlt. Hier sollte sich wirklich etwas ändern.«